von trans verbum | 15.03.2016 | Fachwortschatz, Firmenkurse, Methodik für DaF, Schulungen, Unterrichtsvorschläge, Wirtschaftsdeutsch
Einige der folgenden 10 Thesen zu Wirtschaftsdeutsch erscheinen beim ersten Lesen vielleicht überraschend. Zumal sie von einem Lehrer für Wirtschaftsdeutsch stammen, der seit 15 Jahren in diesem Bereich arbeitet. Zu Beginn meiner Unterrichtskarriere hatte ich noch Hemmungen, auch viele Elemente in den Wirtschaftsdeutsch-Unterricht einfließen zu lassen, die in erster Linie nichts mit Arbeit und Beruf zu tun haben. Warum man den Mut dazu haben sollte und wie das den Schülern helfen kann, sollen die folgenden 10 Thesen zeigen.
1. Wirtschaftsdeutsch ist „normales“ Deutsch
Zumindest überwiegend: Spielen Sie kurz in Gedanken eine typische Verhandlung durch. Überlegen Sie sich, wie oft man auf einer Dienstreise wirklich Fachsprache nutzt. Oder lesen Sie den folgenden Auszug aus einer Geschäftsmail:
Liebe Frau Müller,
vielen Dank für unser sympathisches Gespräch während der boot in Düsseldorf.
Gerne komme ich auf Ihren Vorschlag zurück und bitte um eine Zusendung Ihres Katalogs zur Innenausstattung von Jachten. Zwar können wir das Angebot auch auf Ihrer Webseite finden, bevorzugen aber wie erwähnt etwas zum Anfassen.
Vielen Dank und herzliche Grüße aus Frankfurt
Heinz Meier
Man kann sich nun streiten, welche Wörter eher zur Fachsprache zu zählen sind und welche nicht. Doch auch bei einem großzügigen Zählen wird man feststellen, dass der Großteil der Wörter und der Grammatik eigentlich genauso in der Alltagssprache verwendet wird.
Wirtschaftsdeutsch unterscheidet sich nur geringfügig von „normalem Deutsch“.
2. Schwierigkeiten bereitet die Umgangssprache
Eine zentrale Rolle spielt im Wirtschaftsdeutsch-Unterricht der Wortschatz einer Fachsprache. In den allermeisten Fällen bereitet dieser Wortschatz den Lernern aber die geringsten Probleme. Er ist schnell gelernt, wird tagtäglich benutzt. Ein größerer Stolperstein ist die Umgangssprache, der man natürlich auch im Berufsleben oft begegnet. Schauen Sie sich den folgenden Satz an, der nicht wenigen Lernern Schwierigkeiten bereiten dürfte:
Auch das ist Wirtschaftsdeutsch.
Arbeitsspezifische Umgangssprache sollte berücksichtigt werden.
3. Struktur spielt eine wichtige Rolle
Oft verliert man grundlegende Ziele aus den Augen. Man lernt oder unterrichtet, häuft immer mehr Wissen an und kümmert sich nicht mehr um eine einfache oder gut strukturierte Sprache. Die Regeln für eine gute Struktur unterscheiden sich nicht von denen in der Muttersprache. Schauen Sie mal in Ihrem Mailfach nach und überlegen Sie sich, welche Mails gut geschrieben und schnell verständlich sind. In der Regel werden das die sein, die nicht sprachlich schön oder anspruchsvoll sind, sondern gut strukturiert.
Ordnung, Einfachheit und Struktur sind lohnenswerte Unterrichtsinhalte.
4. Wirtschaftsdeutsch ist oft zu einseitig
Es ist natürlich schwierig: Wie will man zum einen eine möglichst große Gruppe ansprechen, zum anderen aber Spezialisierungen berücksichtigen? Ich bemerke bei den meisten Unterrichtsmaterialien und Lehrwerken zu Wirtschaftsdeutsch ein Ungleichgewicht. Es überwiegt etwas, was ich provokativ Sekretärinnendeutsch nenne, also geschäftliche Korrespondenz, Anfragen schreiben, Auskünfte am Telefon. Vernachlässigt werden zum Beispiel technische Dokumentation, Zeiterfassung, Ticketbearbeitung oder auch moderne Bewerbungswege über soziale Netzwerke wie Xing oder LinkedIn.
Selbst das beste Lehrwerk zu Wirtschaftsdeutsch muss ergänzt werden.
5. Anglizismen sind wichtig
Nicht wenige Germanisten oder Deutschlehrer haben eine Abneigung gegen Anglizismen. Deren Verwendung wird gerne als Denglisch oder neues Imponier-Deutsch abgewertet. Im Berufsalltag sind Anglizismen aber eine Selbstverständlichkeit, müssen also verstanden und verwendet werden. Im Unterricht sollte man lernen können, welchen Artikel ein Meeting hat, was ein Relaunch ist, wie man Deadline dekliniert und wie briefen konjugiert wird.
Anglizismen sollten ihren berechtigten Platz im Wirtschaftsdeutsch-Unterricht einnehmen.
6. Aktive Fertigkeiten stärken
Gerade im Wirtschaftsdeutsch-Unterricht gilt: Wenn das Fundament nicht sehr gut gebaut ist, können Imitationen zu schlechterem Deutsch führen, beim Sprechen und beim Schreiben. Lerner versuchen, die kompliziertesten Nominalisierungen zu übernehmen, die schwierigen neuen Wörter zu benutzen … und es geht schief. Stattdessen sollten aktive Fertigkeiten so eingeübt werden, dass der Lerner möglichst einfach, fehlerfrei und unbeschwert sprechen und schreiben kann.
Bei den aktiven Fertigkeiten sollte eine möglichst einfache Sprache im Vordergrund stehen.
7. Fehler sind egal
Natürlich nicht ganz egal. Aber überlegen Sie sich kurz, was Ihnen bei einem geschäftlichen Telefonat wichtiger ist:
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Der Gesprächspartner spricht zwar fehlerfrei, dafür aber mit zögernder Stimme und er braucht bei jeder Antwort ein paar Sekunden, um seine Sätze zu formulieren.
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Der Gesprächspartner macht zwar Fehler, spricht aber flüssig und mit sympathischer Stimme.
Bei der Bewertungen von Mitarbeitern eines Callcenters durch die Anrufer habe ich eine interessante Feststellung gemacht. Die Kunden sollten die Deutschkenntnisse der Agenten einstufen, unter denen auch ein paar Muttersprachler waren. Meine Aufgabe war es, diese Bewertungen einzuordnen, wobei ich die aufgenommenen Gespräche anhören konnte. Egal, wie gut oder schlecht das Deutsch im Gespräch war, wichtig war allein, ob der Kunde bei seinem Anruf möglichst schnell und ohne Widerstände das erreicht hat, was er erreichen wollte. Wenn das nicht der Fall war, wurde auch Muttersprachlern eine schlechte Deutschnote ausgestellt.
Nicht das Vermeiden von Fehlern sollte der zentrale Ansatz sein, sondern ein zielgerichtetes Deutsch.
8. Der Ton macht die Musik
Wenn ich sage, dass Fehler nicht so wichtig sind, meine ich dabei nur Grammatik und Wortschatz. Ein Fehler ist unverzeihlich: mangelnde Freundlichkeit. Gerne erinnere ich mich an einen Schüler zurück, der zwar beim Sprechen und Schreiben viele Fehler gemacht hat, dies aber durch seine offene Art und sein einnehmendes Charisma mehr als nur ausgeglichen hat. Ziel des Wirtschaftsdeutsch-Unterrichts sollte es auch sein beizubringen, wie man etwas sympathisch ausdrückt.
Höflichkeit, Zuverlässigkeit und Ordnung sind wichtiger als ein fehlerfreies Deutsch.
9. Nicht-Muttersprachler als Gesprächspartner
In Deutschland gibt es rund 10 % Ausländer, in der Schweiz oder in Österreich liegt der Anteil noch höher. In den Jahren 2014 und 2015 sind viele Flüchtlinge und Migranten hinzugekommen. Nicht alle von ihnen sprechen ein gutes Deutsch. Aber alle nehmen am Wirtschaftsleben teil, sind Kunden oder Patienten. Im direkten Kontakt hat man es als nicht-muttersprachlicher Callcenter-Agent oder IT-Support also häufiger mit Menschen zu tun, die nicht unbedingt besser sprechen als man selbst. Und auch in diesem Fall muss man sich verständlich machen. Das wird nur gelingen, wenn man ein einfaches Deutsch schreiben und sprechen kann.
Ein einfaches Deutsch hilft bei der Kommunikation mit anderen Nicht-Muttersprachlern.
10. Sprachspezifisches Training on the Job
In vielen Fällen läuft der Wirtschaftsdeutsch-Unterricht getrennt von der eigentlichen Arbeit ab. Natürlich werden mal Projekte vorgestellt, sicher wird mal auf Schwierigkeiten mit einer Mail eingegangen. Am sinnvollsten ist meiner Meinung nach kein klassischer Unterricht, sondern ein nah der täglichen Arbeit ablaufendes Training. Ich bezeichne das als sprachspezifisches Training on the Job. Man schreibt zusammen die Mails oder gibt direkt nach einem Telefonat ein Feedback. Man bereitet zusammen eine Präsentation vor oder hilft beim Verstehen von Forenbeiträgen aus dem Intranet einer Firma.
Ein Training on the Job kann sinnvoller sein als ein klassischer Wirtschaftsdeutsch-Unterricht.
Was denken Sie? Können Sie einem der Punkte nicht zustimmen? Vielleicht möchten Sie auch die Liste sinnvoll ergänzen, da Ihnen etwas Wichtiges fehlt. Ich freue mich auf anregende Diskussionen.
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